Eines Tages sind Jesus und seine Jünger auf einer Party eingeladen.
Sie unterhalten sich, und essen, und plötzlich
wird es ganz still. Die Augen richten sich zur Tür, denn bei der Tür ist eine Frau, und jeder weiß: das ist eine Prostituierte. Was macht die denn hier?
Es ist absolut still im Raum.
Fast hört man die Herzen schlagen, denn
alle sind aufgeregt,
aus verschiedenen Gründen:
Zuerst sind da die anderen Gäste auf der Party, die aus der Stadt kommen. Sie sind verwirrt. „Sind wir hier nicht bei einem Pharisäer zu Besuch? Was macht diese Frau hier? Ich meine, auf Parties gibt es schon manchmal Prostituierte, ok, aber bei einem Gottesfürchtigen? Irgendwas stimmt hier nicht.“
Dann der Gastgeber, Simon, der Pharisäer. Er ist entrüstet. „Was sollen denn die Gäste von mir denken? Wie ist die denn hier reingekommen? Womöglich glauben sie, dass ich diese Frau gerufen hat – mein Ruf ist ruiniert.“ Simon weiß gar nicht, was er sagen soll. Am Besten, er hätte Jesus gar nicht erst eingeladen.
Unter den Gästen befindet sich auch ein Reporter, und innerlich reibt er sich die Hände: „Das wird mal wieder so ein richtig schöner Skandal.“ Er zückt den Notizblock und lässt die Frau nicht aus den Augen.
Die Jünger haben Angst, Angst um Jesus. „Ist das schon wieder so eine Falle, in die Jesus tappen soll? Wird er ihnen diesmal auf den Leim gehen?“
Der Einzige, der ganz ruhig bleibt, ist Jesus.
Aber auch Jesus schaut die Frau an. Er nimmt sie wahr.
Und so – alle Augen sind auf die Frau gerichtet, und sie …
sie weiß nicht, ob sie sich trauen soll, was sie sich vorgenommen hat, aber
jetzt ist sie schon hier,
jetzt hat sie es schon so weit geschafft,
jetzt zieht sie es durch.
Langsam
geht sie auf Jesus zu.
Ein Raunen geht durch die Menge: „Hat Jesus … sie gerufen?
Kann das sein?“
Sie schauen Jesus an – aber sein Blick verrät es nicht.
Auch die Frau ist verunsichert
und weiß nicht, ob sie willkommen ist,
in seinen Augen, in Jesu Augen,
aber egal, sie zieht‘s jetzt durch, sie macht das jetzt einfach:
Sie nimmt ein Fläschchen aus ihrer Jackentasche,
und wieder
ist das Publikum schockiert:
Öl! Nard-Öl! Kostbares, teures Nard-Öl!
Was hat sie damit vor?
Die Frau bricht in Tränen aus.
Sie gießt das Öl, alles davon, auf die Füße von Jesus,
und das Parfüm erfüllt den ganzen Raum.
Man würde diesen Duft sogar genießen – wenn es nicht so eine heikle Situation wäre.
Die Männer aus der Stadt wissen immer noch nicht, was sie davon halten sollen.
Hat Simon das jetzt organisiert oder nicht? Oder war es vielleicht Jesus?
Egal, die Frau … die Frau gießt das Öl auf die Füße von Jesus,
und ihre Tränen mischen sich mit dem Öl,
sie küsst seine Füße, wieder und immer wieder,
und dann
sie ist verlegen, sie hat vergessen ein Handtuch mitzubringen.
Sie wollte ihm doch die Füße waschen! Aber jetzt hat sie das Handtuch vergessen!
Egal,
jetzt ist sie hier, jetzt zieht sie‘s durch,
sie macht … sie macht ihr Haar auf
Das gibt‘s doch nicht, sie hat ihr Haar aufgemacht!
Spätestens jetzt hat der Reporter schon 17 Seiten Notizen gemacht,
und Simon, der Gastgeber, ist drauf und dran, sowohl Jesus als auch die Frau rauszuschmeißen,
ein Skandal ist das.
Ein „richtig schöner“ Skandal, wie der Reporter sagen würde.
Sie macht die Haare auf,
und trocknet die Füße von Jesus mit ihren Haaren.
Es ist egal, dass alle Leute zuschauen, sie macht es einfach.
Und an dieser Tat
begreifen alle:
sie hat Jesus lieb.
Das ist das, was sie getrieben hat.
Das ist das, warum sie sich in das Haus geschlichen hat,
warum sie das Öl mitgebracht hat,
warum sie die Blicke der vielen Männer ausgehalten hat,
warum sie zu Jesus hingegangen ist,
warum sie das Öl ausgegossen hat,
warum sie seine Füße küsst, immer noch und immer wieder,
warum sie weint und warum
sie jetzt die Füße – die dreckigen, staubigen Füße von Jesus –
mit ihren Haaren trocken rubbelt.
Der Gastgeber Simon ist total überfordert.
„Was soll das? Weiß Jesus nicht, dass sie eine Prostituierte ist? Warum lässt er das zu?“
Aber er sagt nichts. Er starrt einfach auf eine Traube vor sich auf dem Tisch.
Jetzt ist sie fertig
und steht nur noch da.
Und wartet auf eine Reaktion von Jesus. Sie hat alles getan, was sie tun wollte.
Und ihre Augen fragen Jesus immer noch: „Was soll ich jetzt tun?“
Sie ist bereit, jede Strafe auf sich zu nehmen,
jeden Zorn oder was auch immer,
aber was denkt Jesus von ihr?
Dieser Blick … Jesus sieht sie an. Er verurteilt sie nicht.
Jesus
wendet sich zu dem Pharisäer und sagt:
„Simon, ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“
Simon sieht auf und wundert sich. „Ja, Jesus?“
Jesus beginnt zu erzählen:
„Stell dir vor, Simon: ein reicher Mann hat Geld verliehen, an zwei Leute: dem einen hat er 50 Euro gegeben, dem anderen 500 Euro. Und beide können es nicht zurückzahlen. Und weil sie es nicht bezahlen können, ist er großzügig und zerreißt die Schuldscheine, beide. Wer von den beiden wird nun den reichen Mann mehr ehren in seinem Herzen?“
Simon checkt nicht, was das mit der Situation hier zu tun haben soll. Aber Jesus hat ja gesagt, dass es etwas Wichtiges ist. Also antwortet er: „Äh … also … ich vermute mal … der mit den 500 Euro? … Weil ihm mehr Geld erlassen wurde.“
Und ein Lächeln huscht über das Gesicht von Jesus: „Genau richtig. Du hast es kapiert.
Und nun, was die Frau angeht … schau sie dir an. Schau hin, was fällt dir auf?
Du bist doch der Gastgeber.
Warum hast du mir nicht Wasser zum Füße waschen gegeben? Diese Frau hat meine Füße mit ihren Tränen gewaschen.
Warum hast du mir keinen Kuss zur Begrüßung gegeben? Diese Frau hat meine Füße geküsst, wieder und immer wieder.
Warum hast du mir nicht einen Tropfen Öl zur Erfrischung gegeben? Diese Frau hat dieses teure Nardöl für mich dahingegeben.“
Und dann sagt er etwas, was sich wie ein Pfeil in das Herz der Frau gräbt:
„Ihr wurde viel vergeben. Darum liebt sie viel.“
Ihr wurde vergeben?
Ihr wurde vergeben!
Ihr wurde vergeben!
Am liebsten wäre sie Jesus um den Hals gefallen.
Sie ist glücklich. Jesus kennt ihre Geschichte, und er vergiebt.
Und ja, sie liebt Jesus. Sie weiß nicht wohin mit dieser Liebe, aber sie gießt sie einfach aus. Volle Kanne.
Und Jesus freut sich an ihr.
Und das ist alles, was zählt. Jesus freut sich an mir!
Oh Jesus, oh Jesus, ich liebe dich …
Jesus sieht sie immer noch an, und sie schaut zurück. Wenn dieser Moment doch nie aufhören würde. Aber schließlich sagt Jesus: „Meine Tochter, nimm meinen Frieden mit, wenn du nach Hause gehst.“
Und sie versteht das Signal und
erhobenen Hauptes verlässt sie den Raum.
Diesen Abend wird sie nie vergessen.
Das Publikum ist immer noch schockiert.
Der Reporter hat aufgehört zu schreiben,
die Leute aus der Stadt überlegen sich: „Boah! Wenn ich das meinem Nachbarn erzähle!“
Simon denkt sich: „Was?! ‚Ihr wurde vergeben?‘ Das auch noch?! Ist Jesus größenwahnsinnig?“
Und er überlegt hin und her, ob er Jesus und seine Jünger doch noch rauswerfen muss, um seine Ehre zu retten.
Aber Jesus
Jesus fährt einfach fort zu essen, er nimmt sich ein Stück Fleisch
und gibt damit zu verstehen: „Das wars. Es ist alles vorbei, der Vorhang ist gefallen.“
Und langsam kehrt wieder Normalität ein,
alle essen, tuscheln und reden.
Schließlich
geht der Pharisäer zu Jesus und sagt nur diesen einen Satz:
„Du
bist ein besonderer Mann.“
Wer ist Jesus
für dich?
(Nach Lukas 7,36-49)
„Jesus, der Frauen-Held?!“ von Benjamin Pick ist lizenziert Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen.