Lieber Weihnachtsmann

Lieber Weihnachtsmann,

Schön, dass es dich gibt. Sonst würdest du diese Zeilen ja nicht lesen. Diesmal bekommst du keine dicke Wunschliste. Ich wünsch‘ mir nur, einen Brief von dir zu bekommen.

Was ich noch nie so richtig verstanden habe: warum du das alles eigentlich machst. Ich meine, als Kind stellt man solche Fragen eher nicht, da ist das Geschenk selbst wichtiger! Aber, ich muss dazu sagen, ich bin ja schon Mitte 20, und irgendwie kamen meine Geschenke auch nicht von dir oder dem Christkind (arbeitet ihr eigentlich zusammen?), sondern von meinen Eltern, Onkeln, Tanten etc. Die Säkularisierung, also ich meine, irgendwie bist du nicht mehr sehr beliebt in der heutigen Gesellschaft. Aber vielleicht wirst du ja durch die Postmoderne ein Symbol für Random Acts of Kindness?

Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären. Seh‘ ich das richtig, du verdienst das Jahr über Geld, damit du einmal im Jahr Kindern eine Freude machen kannst? Oder hast du Industriepartner, Sponsoren, EU-Mittel, vielleicht sogar Aktienkapital?

Vielleicht habe ich auch deswegen kein Päckchen von dir bekommen, weil ich ja schon genügend von meiner Family gekriegt habe – du machst es wohl eher wie Weihnachten im Schuhkarton, du beschenkst diejenigen, die sonst nichts kriegen würden, sehr löblich.

Wo wohnst du eigentlich? Gibt es für die Südhalbkugel andere verantwortliche Weihnachtsmänner (oder -frauen)? Ich meine, dir müsste dort ja unerträglich heiß sein in deinem Gewand!

Was hältst du davon, dass in den Läden die Vorweihnachtszeit schon Ende August anfängt? Ist das nicht wie ein Marathon-Freuen?

Da fällt mir ein, ich weiß ja gar nicht, wohin ich diesen Brief schicken soll. Hast du vielleicht eine Email-Adresse? ‚Ne normale Postadresse würd’s auch tun, aber du solltest dich langsam an den Gedanken gewöhnen, dass die Digital Natives etwas anders ticken. Ein StudiVZ-Account wäre natürlich noch mehr im Trend. Aber nur wenn du auch regelmäßig deinen Status updatest, sonst gehst du ja in der Freundesliste komplett unter.

Standest du eigentlich schon vor Gewissenskonflikten? Zum Beispiel, wenn du nur noch ein Geschenk hast, aber 2 Kinder dich erwartungsvoll ansehen? Oder ein Sponsor dir nur Geld gibt, wenn du ihm Exklusiv-Vermarktungsrechte einräumst? Oder wenn du in der Zeitung liest, dass die Puppen, die du gerade verteilt hast, Giftstoffe enthalten? Man kann es sich bei dir irgendwie nicht ganz vorstellen, aber du bist ein geschäftiger Mann, und vermutlich wirst du auch versuchen, verantwortlich und sozial relevant zu handeln. Ach ja, wie hältst du es mit den Anti-Diskriminierungsgesetze? Wie muss ich mir das eigentlich vorstellen, bist du Arbeitgeber oder Selbstständiger? Was machen deine Angestellten im Sommer? Und was sagt das Finanzamt zu diesen Vermögensumverteilungsmaßnahmen?

Fragen über Fragen. Aber die – auch bei Kindern beliebte – Frage „Warum?“ würde mich am Meisten interessieren. Vielen Dank im Voraus für deine Erläuterungen.

Dein Benjamin

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