Der Tag, als die Sonne nicht aufging (Teil 3)

(Teil 1Teil 2)

Plötzlich pumperte es an der Tür. „Soll ich aufmachen?“
– „Sei vorsichtig!“ Ich stand also auf. „Ach du bists, Christopher, komm rein.“
– „Hallo Papa! Du, Papa, schau mal, da…“
– „Christopher! Da bist du ja! Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht! Lass dich umarmen. Wo hast du so lange gesteckt?!“
– „Der Schulbus kam nicht, und dann bin ich mit zu Paul gefahren, und wir haben gespielt.“
– „Aber dein Handy war nicht an!“
– „Ich glaub das hab ich zu Hause vergessen. Ich wollt euch ja anrufen, als der Bus nicht kam…“
– „Komm erst mal rein, mein Sohn.“ Er pfefferte sein Ranzen in die Ecke. Dann zog er an meiner Hand: „Komm, Papa, ich muss dir was zeigen!“
– „Was denn?“
Aber da er nicht locker ließ, zog ich meine Schuhe an und folgte ihm. „Schau mal da!“ Er deutete auf den Himmel. Obwohl es noch dämmerte, sah man einen Stern. „Ist das ein Flugzeug?“
– „Nein, Flugzeuge blinken. Entweder es ist der hellste Stern – der Polarstern, oder…“
– „Aber es bewegt sich doch!“ Tatsächlich, wenn man genau hinsah, bewegte er sich ein bisschen. „Am Anfang war der Punkt noch kleiner.“ Ich bekam plötzlich Bauchschmerzen, und ging wieder rein. Dort fragte Lisa mich: „Und, was ist?“
– „Der Meteor…“
– „Wie, ich dachte, das wäre alles erfunden!“
– „Schau mal raus.“ sagte ich und ging auf Toilette. Als ich wieder draußen war, standen viele andere neugierige Menschen auf der Straße.

Jemand tippte mich an. „Ähm, Tschuldigung …“ und hielt mir eine Gartenschere hin. Ach ja, genau, ich hatte sie ihm geliehen. „Tschuldigung dass ich das das Jahr über nicht hingekriegt hab“ – „Schon gut.“ Betreten ging er wieder zu den Seinen.

Der Punkt wurde immer größer. Man konnte nun schon einen kleinen Schweif erkennen. „Vielleicht ist es ja doch ein Komet, Papa.“ – „Könnte sein – aber warum wächst er dann immer mehr?“ – „Das ist halt ein besonderer Komet.“

In der Ferne ein Schrei. Ich schaute mich um: die Gesichter, vorher nur gespannt, waren nun allesamt bedrückt. Man konnte ihnen den Gedanken ablesen: „Sollte das wirklich der letzte Tag sein?“ Jemand rief: „Das ist das Ende!“ und aus einer anderen Ecke kam ein Kreischen. Ich nahm meinen Mut zusammen und rief zurück: „Und selbst wenn – was wollt ihr heute noch tun?“ Anscheinend kreischen. Na gut, wenn ihnen das Spaß macht – ich geh was Lesen. „Bis später“, sagte ich und gab Lisa einen Kuss.

Plötzlich Stille. Ich ging nach draußen und fragte Lisa: „Ist was passiert?“ Sie flüsterte: „Nichts.“ – „Und was ist mit dem Meteorit?“ – „Er ist eingeschlagen.“ – „Und?“ – „Nichts.“ – „Wir leben noch.“
Das war das Stichwort. Wie befreit von einem Zauber kamen die Leute wieder zu sich. „Was machen wir jetzt?“
– „Papa, ich hab Hunger.“
– „Ach, du Armer, du hast ja noch gar nichts gegessen …“
– „Was kochst du heute?“
– „Ähm …. der Herd geht nicht.“
– „Und die Mikrowelle?“
– „Auch nicht.“
– „Dann machen wir eben ein Lagerfeuer.“
– „Keine schlechte Idee, Christopher. Haben wir was zum Grillen?“
Lisa antwortete: „Stimmt, das Fleisch muss eh weg, bevors vergammelt. Und ich könnt noch schnell Stockbrot vorbereiten.“
– „Prima!“ Die Kinder waren hellauf begeistert.

Als ich in die Garage ging, um Kohle zu holen, kam mir eine Idee: ich setzte mich ins Auto und schaltete das Radio an. Tatsächlich, manche sendeten noch:
„Haben Sie nicht gesagt, dass die Welt heute untergehen würde? … Nein, das hab ich nie behauptet. … Hä? Was dann? … Ich sagte, dass heute der Meteorit einschlagen wird, der wahrscheinlich zum Weltuntergang führen wird. … Herr Professor – ähm, ich hab leider Ihren Namen vergessen – Sie wollen den Zuhörern also sagen, dass die ganze Aufregung umsonst war? … Aufregung bringt nie etwas, wenn Sie mich fragen. … Ich meine, wird die Welt jetzt untergehen oder nicht? … Welt untergehen, was heißt das. Alles, was ich sagte, ist das: es kommen schwierige Zeiten auf uns zu. … Jetzt mal ganz direkt gefragt: wie lange werden wir noch überleben könne? … Das wissen wir noch nicht. Zwischen 10 Tagen und 10 Jahren ist alles möglich.“
Ich schaltete das Radio aus.

Wenn ich wüßte, daß morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Bäumchen pflanzen.
(Martin Luther ?)

2 Gedanken zu „Der Tag, als die Sonne nicht aufging (Teil 3)

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