Unsterblich sein (2)

„Mama, warum müssen manche Menschen sterben?“ Tom ist mit seiner Familie ins Krankenhaus gefahren, dort, wo Opa liegt. Dieser fühlte sich angesprochen: „Wer hat gesagt, dass ich sterben muss?“ – „Naja, Mama hat das vorhin im Auto gesagt.“ – „Na dann, richte ihr aus“, und Opa zwinkerte ihr zu, „dass sie zwar einerseits Recht hat, aber andererseits auch nicht. Irgendwie bin ich unsterblich.“ – „Opa, du bist komisch. Was soll denn das schon wieder heißen?“ Da schritt seine Mutter ein: „Jetzt lass doch mal den Opa in Frieden, siehst du nicht, wie anstrengend es für ihn ist, zu reden?“ Opa wehrte mit den Händen ab.

„Ich meine“, fuhr er fort, und Tom fiel auf, dass seine Stimme tatsächlich zitterte, „dass ich zwar bald verschwinden werde, aber meine Träume werden weiterleben…“ – „Was für Träume?“ – „Träume … von unberührter Natur, gerechter Geldverteilung, Großzügigkeit, Kreativität … Dinge, für die ich mein Leben eingesetzt habe, sie werden in euch weiterleben, selbst wenn ich sterbe. Das ist mein Erbe, an euch.“

„Mama, was ist ein Erbe?“ – „Ein Erbe ist so etwas wie ein Geschenk, von jemanden, der stirbt.“ – „Opa stirbt also wirklich?“ Toms Mutter sah ihn an und nahm ihn in den Arm. „Weißt du noch, die rote Blume im Garten?“ Natürlich erinnerte er sich an sie, er hatte sie jeden Tag nachgemessen! „Sie ist gewachsen, hatte eine wunderschöne Blüte, und ist dann verwelkt. Die Blume musste sterben. Das gehört dazu …“ – „Und es gehört auch dazu“, Tom drehte sich zu Opa um, „dass die Blume weiterlebt, obwohl sie gestorben ist: die kleinen Samen, die sie ausgestreut hat, warten nun im Boden auf den nächsten Frühling, und dann kommen gleich drei rote Blumen raus, oder vielleicht noch mehr.“

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Einige Wochen darauf starb Opa. Tom war traurig, und besuchte immer wieder die Stelle, an der die rote Blume stand. Da kam ihm eine Idee: Wenn da wirklich Samen sind, dann brauchen sie doch Wasser! Schnell holte er die Gießkanne und sah am nächsten Morgen wieder nach: leider immer noch keine neuen Blumen. „Ach Tom“, sagte seine Mutter, die ihn beobachtet hatte, „Opa hatte doch gesagt, im Frühling.“ – „Aber vielleicht wachsen sie schneller, wenn ich sie gieße?“ – „Gieß’ sie ruhig jeden Tag ein bisschen, aber die Samen haben so etwas wie eine Uhr in sich: irgendwann, wenn ihr Zeiger auf 12 steht, dann sprießen sie auf.“ Und so nahm er sich vor, sich um die Samen zu kümmern, und er dachte: „Ich will auch so werden wie Opa, eines Tages.“

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